China-Logbuch Part5 Oktober2004

Oktober 29th, 2004

Fortsetzung zu Shanghai, 22.-26.10.2004

Shanghai ist der Endpunkt unserer gemeinsamen Reise. Hier trennen sich die Wege: ein paar Kollegen fahren noch zu anderen Zielen in China und Korea weiter, andere fliegen nach und nach zurück. Ich treffe hier auf Kathleen, mit der ich ein paar Tage Urlaub machen und unsere Freunde in Hong Kong besuchen möchte.
Die Aktion „Kathleen-vom-Flughafen-abholen“ geht reichlich schief. Am Samstag vormittag kaufe ich Zugtickets nach Hong Kong, rechne aber nicht damit, bar zahlen zu müssen. Dass mein Geld gerade so reicht (mir bleiben 24 Yuan) halte ich anfangs für Riesenglück. Aber wie das so ist, wenn man ganz dringend ne Bank braucht, gibts es natürlich selbst in der Finanzmetropole Shanghai keine. Ich versuche mein Glück erfolglos bei 10 Geldautomaten. Bilanz: 0 Yuan. Als es wirklich Zeit wird, zum Flughafen zu fahren, tausche ich meine paar Notfall-Dollar, um wenigstens das Transrapid-Ticket bezahlen zu können. Der deutsche Wunderzug heißt hier „Maglev“ und ist auf keinem ÖPNV-Plan eingezeichnet. Trotzdem ist er recht gut ausgelastet als ich damit fahre. Anscheinend wird er aber vor Allem als Hightech-Attraktion für Familienausflüge, weniger als Verkehrsmittel verwendet. Als ich fast pünktlich am Flughafen ankomme, bin ich doch viel zu spät, denn ihr Flug kam eine Stunde zu früh an! Wer rechnet denn bitte damit?
Shanghai hat einiges zu bieten: neben Shoppen als unsere Hauptaktivität gehen wir gern essen und haben noch einen sehr netten Diskoabend. Auch der ist nicht ganz einfach zu bekommen: Die zuerst von uns angepeilte Tropicana Bar (Lonely Planet-empfohlen) scheint der Bauwut zum Opfer gefallen zu sein. Als nächstes landen wir in einem Nachtclub mit beschränktem Unterhaltungswert für gemischtgeschlechtliche Besuchergruppen. Schließlich fahren wir dank der Beratung eines nettes jungen Einheimischen in ein Einkaufszentrum. 4. Stock: Rojam Disco. Techno, Hiphop — Top.
Andernabends gehen wir zwecks Kontrastunterhaltung ins Shanghai Grand Theater und schaun Ballet: Romeo und Julia. Auch nicht schlecht.

27.10.2004

Heute machen wir uns nach Starbucks-Frühstück (genug vom Hotel-Buffet!) auf den Weg zum Bahnhof. Als mittlerweile erfahrener China-Zug-Reisender glaube ich, mich auzukennen und verzichte aus Gewichtsgründen auf Reiseproviant. Kann man ja auch in JEDEM chinesischen Bahnhofs-Wartesaal, auf JEDEM Bahnsteig und in JEDEM Zug im Überfluss und mit einiger Auswahl kaufen. Aber DIESER Zug ist anders! Obwohl die Rückgabe von Hong Kong an China auch schon wieder 7 Jahre her ist, ist die Reise von China nach Hong Kong immer noch eine Auslandsreise: Passkontrolle und Zoll schon am Bahnhof. Zudem ist ab dem Wartesaal alles abgeriegelt, damit ja kein Chinese verloren geht. Blöderweise haben auch die sonst überall anzutreffenden Essenverkäufer keinen Zutritt. Auch die Bahnsteige auf den wenigen Unterwegshalten sind abgeriegelt – so in etwa müssen sich die Botschaftsflüchtlinge 1989 beim Transit durch die DDR gefühlt haben…
Im Zug ist das Essen eintönig: Nudeln nur zum Frühstück, ultrahartgekochte Eier, in Folie eingeschweißte Ente, naja: Hoffen auf Hong Hong!

China-Logbuch Part4 Oktober2004

Oktober 25th, 2004

Freitag 22.10.2004-Sonnatg 24.10.2004

Mein gmx erweist sich weiterhin als China-Inkompatibel und produziert haufenweise Fehlerweldungen (natuerlich auf chinesisch). Als erreichen Euch meine einzigen Lebenszeichen auf diesem Wege. Ihr duerft auch gern Kommentare schreiben… 🙂 (Danke, Richard!)
Sind jetzt in Shanghai und meine Nutzungszeit laeft soeben ab…… wird fortgesetzt

China-Logbuch Part3 Oktober2004

Oktober 25th, 2004

Montag 18.10.2004-Donnerstag 21.10.2004

Wir sind beim Hauptprogrammpunkt der Reise angekommen: 9th Intl. Symposium on R. Sed. in Yichang. Die Konferenz findet im Projekthotel direkt am Drei-Schluchten-Damm statt. Nachdem es anfangs etwas sehr getragen und erwartungsgemaess steif zugeht, entwickelt sich doch noch ein wie ich finde sehr interessanter Austausch. Die Beitraege sind ueberwiegend gut praesentiert und z.T. wird sogar etwas gestritten 🙂 Hoehepunkt ist unbestritten die Exkursion zur Baustelle des Drei-Schluchten-Dammes. Man kann von dem Mammutprojekt halten was man will: die Chinesen machen keine Geheimniskraemerei daraus und halten sich mit (auch zum Teil bedenklich stimmenden) Fakten nicht zurueck. Mir ist nach den Tagen hier etwas wohler und ich denke, wenn jemand die Probleme in den Griff kriegt, dann die Chinesen. Ausserdem halte ich das Wasserkraftwerk fuer die etwas weniger bedenkliche Variante – verglichen mit den einzigen realistischen Alternativen Kohle und Kernkraft.

Der Drei-Schluchten-Damm als Modell und in Natur
Hier haben wir das wohl umstrittenste Wasserbauprojekt der Welt als Modell und in Natura: der Drei-Schluchten-Damm – so gesehen im Labor der Xinhua University, Beijing bzw. am Chang Yiang (Yangtze River).

Abends fluechten wir stets aus der heilen Vier-Sterne-Welt und gehen durchs bewachte Tor in die Arbeitersiedlung. Hier warten das wahre chinesische Leben auf uns: Strassenkuechen, Laeden und alles voll netter Leute, die uns interssiert beobachten, wie wir unheimliche Mengen Nudeln und Bier in uns einfloessen. Das Essen ist weitaus interessanter und oft leckerer als im Hotel. Das Bier kostet ein paar Cent und auch sonst ist einiges geboten: Billiard an der Strasse, Fotosessions mit begeisterten Kindermeuten, Rollschuh-Disko in ner Lagerhalle, Luftballon-Schiessen und mehr dergleichen.
Be Care Of Safe
Überall und ständig wird man in China vor allen erdenklichen Gefahren gewarnt. Die englische Übersetzung ist dabei oft eher amüsant… Hier gesehen an einer steilen Treppe mit Rutschgefahr.

China-Logbuch Part2-Oktober 2004

Oktober 18th, 2004

Mittwoch, 13.10.2004

Das im Jianzhong Hotel der 4. Sino-German-Workshop on Sediment Transport stattfindet, kann man schon an dem riesigen Banner über der Tür erkennen. Überhaupt haben unsere Gastgeber keine Mühen gescheut, uns den Aufenthalt angenehm zu gestalten. Dass sie dabei manchmal nicht ganz ins Schwarze treffen, kann man getrost verschmerzen, sag ich. Alles recht interesant und oft lehrreich, nur für den hiesigen Leser vielleicht nicht. Deshalb nur zu unserem Abendprogramm:
Man kann auch in Chengdu gut zu Bumm-Bumm-Mucke abzappeln. Nachdem wir erst bei „Barbara“ nicht ganz das gefunden haben, was wir gesucht haben, landen wir schließlich doch noch in nem Tanzschuppen. Sind das die Mädels, die ich vor ein paar Tagen noch mit Halstuch in der Schule gesehen habe?

Freitag, 15.10.2004

Zum Abschluss unseres Workshops machen wir noch eine Erfahrung in Sachen chinesischer Abendunterhaltung: Hotpot essen. Man zahlt umgerechnet 4 Euro und kann dafür solange man will essen und so viel man will trinken. Das Buffet ist so groß, dass ich mir nicht vorstellen kann, hier irgendwas NICHT zu bekommen. Eher ist das Finden das Problem. Fische werden auf Wunsch aus Aquarien geholt und gleich vor Ort filetiert. Da auch das Bier unlimitiert aus den Fässern läuft, stellt sich mir die Frage: wie würde sowas in Deutschland ausarten?
Hier ist Hotpot ein großes Familien- oder Freundeskreis-Event. Man sitzt um einen gasbefeuerten Kochtopf, der in den Tisch eingelassen ist und wirft rein, was einem Spass macht. Das wieder-raus-fischen verlangt nach etwas Geschick. Ständig erlebt man außerdem Überraschungen, was uns unsere chinesischen Kollegen als essbar unterjubeln wollen. Ganze Fische und Dinger mit Saugnäpfen gehören noch zu den harmloseren Zutaten. Das Trinken ist eher Nebensache, wir sehen nicht viele Betrunkene in der riesigen Fresshalle. Wir jedoch brauchen einige Bier zum löschen, da hier in Sichuan alles ziemlich scharf gegessen wird.
Noch später lassen wir uns von einer Foot-Massage verwöhnen. Sehr nett, vor allem der grüne, warme Glibber, worin die Füße vor der Massage eingelegt werden.

Samstag, 16.10.2004

Wir verlassen Chengdu und fahren mit dem Bus nach Chongqing. Die Stadt ist eine einzige Baustelle. Von unserem Hotelzimmer im 24. Stock aus könnten wir allein 3-4 Großbaustellen überwachen.
Lustiger Höhepunkt des Abends ist ein abendlicher Besuch auf dem Peoples Square. Hier wieder der skurile Mix aus kommunistischer Monumentalarchiketur, Shopping und greller Leuchreklame. Dazu Musik aus Riesenboxen und hunderte Chinesen, die Synchrontanz trainieren.


IKEA ist auch in China absolut in. Die IKEA-Tüte ist Statussymbol und wie man hier sieht auch als Regenschutz tauglich. Tauglicher zumindest als mein 20 Yuan-Schirm, den ich nach einmaligem Öffnen in die nächste Mülltonne werfen konnte.

Sonntag, 17.10.2004

Mit einem Tragflächenboot fahren wir auf dem Jangtze Richtung Yichang. Das Boot ist robust und Made in USSR. Leider ist das Wetter etwas trüb, das hält unsere Fotografen aber nicht davon ab, gigabyteweise Fotos zu schießen und Film zu drehen. Die Zeit vertreiben wir uns mit Löcher-in-die-Schlucht-schaun, essen und Schiffe versenken.
Leider werden wir nicht durch den Three Gorges Dam geschleust, sondern müssen kurz davor in einen Bus umsteigen. Schon vom weiten macht die Baustelle einen imposanten Eindruck. Wir werden bald mehr davon sehn.

China Logbuch Part1- Okober 2004

Oktober 13th, 2004

Donnerstag, 7.10.2004

Da sind wir also im Land der Mitte. begrüßen tut uns heftiger Smog, der sich erst am letzten Tag in Beijing auflösen wird. Bis dahin dürfen wir die Schattenseiten des rasanten Wachstums am eigenen Leib erleben und husten nach ein paar Tagen genauso trocken wie Großstadt-Chinesen.
Genauso krank wie die Luft ist der Verkehr. Trotz U-Bahnbau mit Hochdruck (in 4 Jahren zu Olympia muss alles fertig sein…) läuft (oder steht) der meiste Verkehr überirdisch. Fahrradfahrer wuseln wie die Ameisen ständig und erstaunlich flüssig in alle Richtungen. Dazu eine immer riesiger werdende Flotte Privat-Pkw und Taxen sowie Tausende Busse und O-Busse. Normalerweise habe ich kein Problem mit der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel – aber beim Busnetz von Beijing gebe ich auf. Ein PC hat ein unkomplizierteres Leitungsnetz.
Unser Hotel ist ein Relikt aus der „guten alten Zeit“. HaoJuan Binguan steht mitten im Zentrum in einem der letzten hier erhaltenen Hutongs. Von uns als „Hood“-ong umgetauft ist er echt ne kleine, entspannte Neigborhood. Typisch für das alte Beijing waren die Hofhäuser, nach allen Seiten umschlossen mit einem kleinen Flecken Privatgrund in der Mitte. Unser Hotel ist so ein Hofhaus. Im Hof beim Bier sitztend vergisst man sehr schnell, dass sich draussen 15 Millionen Menschen in ständiger Hektik durchs Leben kämpfen. In unserem Viertel gibts ne Menge kleine Essbuden, Frisöre und ne Schule. Aber auch schon ein paar Hochhausklötzer, die sich vom Rand aus ins Viertel fressen und sicher bald alles kleinere verdrängt habe werden.
Trotz eines fast schlaflos Flugs bin ich von der ganzen Atmosphäre wie aufgekratzt und renne mit meinen Kollegen durch die Gegend – der Temple of Heaven ist Ziel unserer touristischen Erkuhndungen und wir lassen den Tag mit Essen im Hood-ong und einigen Bieren ausklingen.

Freitag, 8.10.2004

Keinen Jetlag vortäuschen – rein ins Programm! Vormittags sehen wir die verbotene Stadt. Sehr guter Eindruck davon, wie sich der Kaiser von China von seinen Untertanen hat huldigen lassen. Die armen Schweine haben ihm einen Palast bauen müssen, der für spätere Machthaber echt Maßstäbe gesetzt hat. So hat beispielweise – viel später, gleicher Ort – ein Herr Mao einen Platz nebst Ruhmeshalle und Mausoleum hinsetzen lassen, die ebenfalls beeindrucken sollen und auch tun.
Die erste städtebaulich Überraschung ist dann für mich, dass gleich hinter dem o.g. „Platz des himmlischen Friedens“ (sehr makaberer Name aus historischer Sicht) ein buntes, chaotisches Viertel anfängt, das vor Leben, Essen, Geschäft und Stress nur so flimmert.
Abends haben wir einen Besuchstermin an der Beijing University mit Kollegen. Das Essen im VIP-Bereich der Mensa ist sehr gut die Stimmung eher freundlich reserviert.
Also müssen wir für etwas Leben noch woanders was trinken gehen. Die Sanlitun-Strasse ist ein bemerkenswertes Etwas zwischen kommunistischem Erbe und neu-kapitaslistischem Geschäftssinn. Da kann man ein Bier trinken, dass teurer ist als auf dem Oktoberfest (!) und nebenbei einer chinesischen Pop-Band zuhören oder auch DVD-Raubkopien von fliegenden Händlern erwerben – alles schön bewacht von Volksarmee-Uniformträgern vorm Fenster.

Samstag, 9.10.2004

Wieder steht eines der obligatorischen Beijing-Sightseeing-Highlights an: der Sommerpalast. Ehrlich gesagt hab ich schon genug von Thron-Hallen, geschwungenen Dächern mit Figuren und dem ganzen Zubehör. Jedoch muss ich anerkennen, dass die alten Chinesen auch hier wieder ganze Arbeit geleistet haben. Besonders „schick“ ist eine Strasse (für irgendeine alte, nicht mehr reisefreudige Keisermutter erbaut) die das Flair einer kleinen Hafenstadt versprüht. Disneyland könnte — nee, hat sich sicher ne Menge hier abgeschaut.
Dann haben wir einen Termin an der Xinhua University mit Prof. W. Welch Gegensatz zu gestern! Ich fühle mich wirklich warm begrüßt und willkommen. Wir sitzen in seinem Büro und schlürfen superstarken Tee (zum wiederholten Mal heute – ich bin schon voll auf Teein). Echt stilvoll eingerichtet das Office – da kann sich fast jeder deutsche Prof was abschaun. Dann sehen wir das Wasserbaulabor. Den meisten Platz nehemn zwei übereinander aufgebaute Modelle des Three Gorges Resevoirs ein. Jedes ist wohl 50 m lang. Das Modell mit beweglicher Sohle und simmuliertem Schwebstofftransport ist super aufwändig und wohl überhaupt nur mit chinesischer Manpower zu betreiben. Alles echt beeindruckend und wohl eine gute Einstimmung auf das, was uns noch erwartet. Schließlich zeigen die Chinesen noch, dass sie uns auch in Sachen Medientechnik ein paar Millionen Dollar voraus sind. Der LCD-Screen im Konferenzraum des Instituts würden sich auch auf einem Stadienkonzert gut machen.
Als die wichtigen Delegationsteilnehmer eine Besprechung mit W. beginnen, setzten sich Andreas und ich ab. Natürlich bekommen wir ein paar jüngere Angestellte und seinen Sohn als Begleitung zugewiesen, um
uns ein paar „scenic places“ auf dem Campus anzuschaun. So sehr mir der gepflegte Campus mit dem beeindruckenden Fahrradverkehr auch gefällt – ich habe eine bessere Idee: kaum draussen frage ich eine unserer Begleitungen, ob wir nicht ihr Wohnheim anschaun können. Sie ist natürlich geschockt von dieser Dreistigkeit, findet aber so schnell keine bessere Ausrede, als dass nicht aufgeräumt wäre und außerdem alles sehr klein sein. Wir beschwichtigen sie damit, dass wir auch mal in Wohnheimen gelebt hätten und versuchen den Staatsbesuchs-Status durch betonte Lockerheit loszuwerden. Sie ruft schließlich ihre Mitbewohnerin an und gibt uns – ich bin überrascht über die Offenheit – zu verstehen, dass es noch ein paar „preparations“ bedarf, wir aber nach einem kleinen Umweg ins Wohnheim können. Wowww… so ein Haus hätte ich echt nicht erwartet! Das Heim ist eines mehr als 10 neuen auf dem Campus – geschätzte 30 Stockwerke. Beim Portier werden wir ordnungsgemäß angemeldet, aber das ist bei allen Besuchen in diesem Mädchenwohnheim üblich. Das Zimmer ist vielleicht 6 Quatratmeter groß und sehr schlicht – aber frisch gewischt ;-). Wir schauen uns dezent um und machen Smalltalk bei Sonnenblumenkernen und unseren letzten mitgebrachten Riegeln und Barilla-Keksen.
Abends essen wir in einem tibetanischen Restaurant mit Ethnic Minority Cultural Show .(Ob es das vor ein paar Jahren hier auch schon gab?) Sehr, sehr lecker. Der Yakmilch-Tee erinnert mich prompt an die Mongolei und ich bekomme ein Ich-will-zurück-in-die-Steppe-Gefühl…

Sonntag, 10.10.2004

Heute stehen wir mal wieder um 00:30 (okay: 6:30 Ortszeit) auf und machen uns auf zu einem der wichtigsten Besichtigungspunkte: die Große Mauer. Ich hatte kurz überlegt, zugunsten von ein wenig Schlaf und einem Bier mit den Hash House Harriers darauf zu verzichten, irgendwie konnte ich es dann aber nicht mit meinem touristischen Pflichtbewusstsein vereinbaren. Wenn man einmal ein Beijing ist, muss man die Große Mauer sehen!
Die Stadt ist noch nicht so nah rangewachsen, dass man bequem mit der U-Bahn hinfahren könnte oder so. Also fahren wir zum Busbahnhof und zuckeln mit nem altersschwachen Ikarus Richtung Norden. Außerhalb der vierten (?) Ringstrasse dürfen auch Lkw’s fahren, was dort prompt zum nahezu totalen Verkehrskollaps führt. Von der Endstation fahren wir mit einem nicht-so-offiziellen Taxi weiter bis zur Mauer. Der Fahrer ist echt cool: er bietet Musik an, ich lobe den CD-Player in seinem chinesischen Mittelklasse-Fabrikat. Er erklärt: „VCD“ und ich denke, da muss er wohl ein paar Fachtermini durchenanderbringen. Aber: er klappt die rechte Sonnenblende runter und schon tanzen mir chinesische MTV-look Dancegirls auf nem beeindruckend großen LCD vor der Nase rum.
Der Ort, wo wir die Mauer besteigen, ist noch nicht touristisch erschlossen. Außer ein paar Engländerinnen sind wir die einzigen an diesem Sonntag. Wir zahlen also ausgesprochen günstige 2 Yuan und laufen los. Nach ein paar hundert Metern zahlen wir nochmal 2 Yuan an ein paar Leute, die angeblich die Treppe dort gebaut haben und unterhalten. Okay, soll es halt sein. Dann werden wir nach wenigen Metern von einem kopfschüttelnden Chinesen am weitergehen gehindert und von Mauer runter auf einen Feldweg geleitet – soll wohl heißen, die Mauer sei hier nicht begehbar. Prompt zahlen wir dort – nun schon sehr widerwillig – die nächsten 2 Yuan, da wir nun über den Privatacker einer alten Bäuerin müssen. Etwa 50 Quatratmeter Gestrüpp und Steine – trotzdem dürfe es sich um einen der ertragreichsten Äcker in China handeln. Inzwischen sind wir sehr genervt von diesem neuen chinesischen Geschäftssinn und fragen uns, wieviele Wegelagerer uns wohl noch erwarten werden. Auserdem wollten wir ja eigentlich auf der Mauer laufen und nicht durch chinesische Felder stolpern. Und prompt steht dort, wo wir wieder an die Mauer kommen, der Nächste. Er hat aber ein ganz tolle Überraschung für uns parat: eine Leiter. Denn leider müssen wir an dieser Stelle knapp 3 Meter rauf, um wieder auf die Mauer zu gelangen. Er bietet uns an, für sage und schreibe 25 Yuan seine „Leiter“ (ein Stamm mit 4 draufgenagelten Brettstücken) dafür zu benutzen. Jetzt hab ich echt die Schnauze voll! Da sich weit und breit keine andere Alternative bietet, sind wir also zu Verhandlungen gezwungen. Ich schreie den dreisten Kerl (die beleidigende Wirkung bewusst in Kauf nehmend) auf deutsch an, dass er sich für das Geld beim OBI ’ne vernünftige Aluleiter kaufen kann! Mutig ist der Typ ja. Ich bin fast drei Köfpe größer als er und meine Kollegen sind auch nicht schmächtig. Schließlich einigen wir uns auf die üblichen 2 Yuan pro Person. Als wir dann endlich wieder auf der Mauer stehen, wird uns das ganze Ausmaß der Abzocke bewußt: der Kopfschüttler steckt mit dem Leitermann unter einer Decke! Sie haben sich diese Umleitung ausgedacht und – zugegeben – sehr geschickt arrangiert. Nun schwören wir, uns garantiert nicht mehr auf Zahlungen einzulassen, komme wer wolle. Am nächsten Turm steht eine Alte und will – na rate mal! – nur 2 Yuan fürs Tür öffnen. Ich drohe ihr nur kurz mit den Bullen, entschließe mich dann aufgrund eines Verständigungsproblems zu einer anderen Methode. Mit sanftem Druck geht sie fast freiwillig beiseite und ihr bleibt nur noch, hinter uns her zu zetern.
Alles in Allem hat mir diese moderne Form der Wegelagerei einen guten Teil der Laune versaut. Andererseits bleibt der Tag dadurch auf jeden Fall unvergesslich. Und in Badaling, wo die Tourgruppen über die Mauer getrieben werden, zahlt man schon mehr Eintritt, als wir an alle Wegelagerer zusammen abdrücken mussten.
Abends in Beijing wartet noch ein ganz besonderes Erlebnis auf uns. Silke W. hat Karten für eine Akrobatik-Show besorgt. Eine chinesische Artistentruppe – Durchschnittsalter geschätzte 12 Jahre – zeigt Kunststücke, für die man eigentlich keine Knochen haben darf. Wahnsinn. 12 Mädels auf einem Fahrrad sind selbst in China kein alltäglicher Anblick.

Montag, 11.10.2004

Wer schon mal in China war, besonders wenn er wie ich etwas größer als der Durchschnittsmensch ist, kennt das Problem: Einfach jeder starrt einen an, und mehr als oft genug hört man ein: „You so tall!“
Ich habe beschlossen, offensiv damit umzugehen und mir gestern abend ein T-Shirt drucken lassen. Text (natürlich auf chinesisch): „Ich bin 2,03 m. Foto 5 Yuan.“ Heute, auf unserer Zugfahrt nach Chengdu – dreißigeinhalb Stunden, Hardsleeper – zieh ich es das erste Mal an. Der Effekt ist positiv. Statt mich anzustarren, sind die mir begegnenden Chinesen erst einmal mit lesen beschäftigt. Danach sieht man die Köpfe arbeiten, ob das nun ernst gemeint ist oder was. Auf der Fahrt entwickeln sich daraus ein paar lustige Gespräche und im Nu habe ich den ersten Geschäftsabschluss getätigt. Foto gegen ein chinesisches Abendessen. Wert 10 Yuan. Toll, oder? Damit ist das T-Shirt auf gutem Weg, seine Investitition zu amortisieren.